Resilienz schaffen - Mitarbeitende stärken - Nur wie?
- Lars Lilienthal
- 30. Apr. 2024
- 7 Min. Lesezeit
Problemlösungskompetenzen Stärken und Stabilität geben

Die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben ist eines der zentralen Themen für uns alle. Um das individuelle Gleichgewicht am Arbeitsplatz in einer unruhigen Welt zu unterstützen, ist es besonders wichtig, resilienzfördernde Strukturen anzubieten und zusätzlich den Aufbau emotionaler Intelligenz zu fördern.
Die äusseren Umstände, die auf uns wirken, sei es die einschneidenden Veränderungen der wahrgenommenen Sicherheit durch die Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg, der steigenden Inflation und drohenden Insolvenzen, beanspruchen die Psyche jedes Einzelnen. Hinzu kommt, dass das Zeitalter medialer und digitaler Beschleunigung omnipräsent ist und wir oftmals ein viel schnelleres Tempo leben, als uns gut tut. Das Level der Grundanspannung ist daher generell schon etwas angehoben – eine steigende Cortisolausschüttung durch intensive Smartphone-Nutzung oder bedingt durch tagtäglich großes E-Mail-Aufkommen privat und beruflich ist wissenschaftlich eindeutig erkennbar.
Eine vereinfachte Übersicht besonders stressauslösender allgemeiner Lebensereignisse aufgeteilt in privat und beruflich zeigt nachfolgendes Schaubild :

„Die Fähigkeit in belastenden Zeiten, die eigene Leistungsfähigkeit und Lebensfreude sich zu erhalten ist nicht nur ein persönliches Thema für jeden Einzelnen. Unternehmen, die hier ihren Mitarbeitenden resilienzfördernde Arbeitsbedingungen bieten, werden mit einem Zugewinn an Kreativität, Performance und Commitment belohnt."
Resilienzfähigkeit als Konstante in unruhigen Zeiten
Resilienz ist als dynamischer Prozess zu verstehen, der sich über die Lebenszeit hinweg verändert. Es entsteht aus dem Erleben von Krisen und anderen Herausforderungen und deren erfolgreiche Bewältigung. Man gewinnt an seelischer Belastbarkeit - psychischer Widerstandsfähigkeit – kurzum an Resilienz und kehrt damit schneller ins emotionale Gleichgewicht zurück. Auf Stress reagieren resiliente Menschen weniger intensiv, was sich neurobiologisch im Hirn auch nachweisen lässt.
Es gibt innere und äußere Schutzfaktoren, die die Widerstandsfähigkeit eines Menschen im Umgang mit Krisen erhöhen können. Zum Teil sind diese genetisch in uns verankert, jedoch wird der bedeutendere Teil über Erziehung, Lern- und Krisenerfahrungen von der Kindheit beginnend entwickelt. Dazu gehören Talente und Begabungen, Charakter- bzw. Persönlichkeitseigenschaften, Erfahrungen aber auch über die Lebenszeit veränderbare Dinge wie Einstellungen, Überzeugungen und Kompetenzen.
Veränderbare resilienzfördernde Faktoren im Allgemeinen sind:
Gesunde Ernährung - wenig Alkohol & Zigaretten
Regelmäßig Sport und Bewegung
Einem schönem Hobby nachgehen
Me-Time - Zeit für sich
Soziale Kontakte (Freunde, Familie, Verein, Partner/-in)
Perspektivwechsel bzw. Fähigkeit sich vom Job, Firma, Kollegen, privaten Stress gedanklich zu entfernen. Loslassen, es allen Recht machen zu wollen.
Gelassenheit entwickeln und sich von Perfektionismus verabschieden- Erkennen starker Antreiber (persönliche & im aussen, z.B. Kollegen, Vorgesetzte, Freunde, Partner/-in)
Eigene Grenzen akzeptieren
Toxische Glaubenssätze auflösen
Bewertungsfreie Akzeptanz üben und zuversichtliche Geisteshaltung haben
Verantwortung übernehmen – Für seine Bedürfnisse einstehen, sich abgrenzen können, verbunden mit der Fähigkeit Nein zu sagen
Selbstwirksamkeit leben - Dinge ändern, die sich ändern lassen - spüren dass man Dinge selbst in der Hand hat
Wenn man sich diese Aufzählung genauer ansieht, ergeben sich eine Vielzahl von Anknüpfungspunkte für Unternehmen, eine resilienzstärkende Arbeitsumgebung zu gestalten, um so die Gesundheit und Leistungsfähigkeit im Berufsalltag zu erhalten.
Vor dem Hintergrund der sich ständig wandelnden Arbeitswelt verbunden mit den zunehmenden globalen Krisen und Herausforderungen, die auch vor dem Privatleben nicht Halt machen, ist Resilienz als Schlüsselfaktor für Unternehmen von großer Bedeutung.
„Resiliente Menschen haben ein positiveres Selbstbild, stärkere soziale Beziehungen und gehen Probleme aktiver an. Der Ansatz des Empathic Leader schafft hierfür die notwendigen resilienten Strukturen in der Unternehmenskultur, wodurch Mitarbeitende bewusster mit Veränderungen und Hindernissen umgehen lernen und eine Arbeitsumgebung vorfinden, die auch die individuellen Bedürfnisse berücksichtigt."
Prof. Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff und Prof. Dr. Maike Rönnau-Böse als absolute Koryphäen im Bereich der Resilienzforschung unterscheiden sechs Einzelfaktoren, die der Mensch im Laufe seines Lebens in verschiedensten Situationen entwickelt hat und unter Belastung aktiviert werden und sich schließlich als Resilienz zeigen. Diese Faktoren sind individuell unterschiedlich stark ausgeprägt. In Zeiten von permanenten Veränderungen ist es daher von besonderer Bedeutung die Kompetenz der Resilienz bei seinen Mitarbeitenden zu stärken.

(1) Selbst- und Fremdwahrnehmung:
Die ganzheitliche adäquate Wahrnehmung der eigenen Emotionen und Gedanken bezeichnen die Autoren Fröhlich-Gildhoff / Rönnau-Böse als Selbstwahrnehmung. Hinzuzuziehen zum Modell der Selbstwahrnehmung ist die Selbstreflexion, sprich die Fähigkeit, sich zu sich selbst in Beziehung zu setzen. Fremdwahrnehmung meint die Fähigkeit, andere Personen und ihre Gefühlszustände angemessen und möglichst »richtig« wahrzunehmen bzw. einzuschätzen und sich in deren Sicht- und Denkweise versetzen zu können.
Auf der Internetseite https://karrierebibel.de/selbstreflexion/ ist ein toller Eintrag zum Thema Selbstreflexion, dessen Schaubild ich nachfolgend präsentiere, da ich insbesondere Auszubildenden diese Übung als täglich Routine empfehle, bevor sie ihren Arbeitsalltag abschließen.
Generell empfiehlt es sich, durch regelmäßiges Feedback dem Mitarbeitenden beim Erhalt eines stabilen Selbstbildes zu unterstützen und offene Fragen die Selbstreflexion anzuregen.
(2) Selbstwirksamkeit
Selbstwirksamkeit beschreibt das Grundvertrauen in die eigenen Fähigkeiten sowie die Überzeugung ein bestimmtes Ziel auch durch Überwindung von Hindernissen erreichen zu können. Die persönliche Einschätzung ob der eigene Arbeitseinsatz und das eigene Know-how zum Erfolg führen wird, ist dabei entscheidend.
Insbesondere die eigene Erwartungshaltung beeinflusst schon im Vorhinein die Herangehensweise an Situationen und Aufgaben und somit auch die Art und Weise ihrer Bewältigung. Hier können Führungskräfte unterstützend auf ihre Mitarbeitenden einwirken, sie an positive Erlebnisse aus der Vergangenheit erinnern, eine positive Fehler- und Feedbackkultur etablieren und somit deren eigene Selbstwirksamkeit stärken.
Führungskräfte, die Ihren Mitarbeitenden in stressigen oder neuen Situationen das Gefühl mitgeben, nicht den Umständen gegenüber ausgeliefert zu sein, sondern dass sie selbst in der Lage sind, Dinge verändern und lösen zu können ,unterstützen so die Selbstwirksamkeit ihres Teams. "Raus aus der Opferrolle - Du schaffst das, ich unterstütze Dich." Dieses Mindset gilt es zu vermitteln. Hier sind gute Kommunikationsfähigkeiten, Empathie und Führungsqualitäten gefragt, um Ängste und alte Glaubenssätze überwinden zu können.
Schon im Rahmen des Preboarding kann man neuen Mitarbeitenden durch Zugang zu Online-Schulungen über effektives Arbeiten und Zeitmanagement, Kompetenzen, die die Selbstwirksamkeit stärken, vermitteln. Sicherlich ist es auch zu empfehlen, die individuellen Belastungen im Team zu steuern. Hierfür bildet eine Unternehmenskultur, die durch Empathie und Wertschätzung geprägt ist, das Fundament, offen Überlastungen anzusprechen.
(3) Selbstregulation:
Innere Erregungs- und Spannungszustände mit sich selbst regulieren zu könen und deren Intensität und Dauer selbstständig beeinflussen bzw. zu kontrollieren zu können macht Selbstregulation aus. Man besitzt das Wissen wie man sich bspw. selbst beruhigen kann und ist so in der Lage die begleitenden physiologischen Prozesse und Verhaltensweisen zu regulieren. Die Fähigkeit zur Selbstregulation kann durch regelmäßige Pausen, Achtsamkeitstrainings, Atemübungen und besondere Berücksichtigung individueller Bedürfnisse den Arbeitsplatz betreffend gestärkt werden (Einzelarbeitsplatz um Aufgaben in Ruhe bearbeiten zu können). Mitarbeitende, die bei der Arbeitsorganisation über einen höheren Grad der Selbstbestimmung verfügen (Home-Office, Arbeitszeit, Erreichbarkeit) können Ihr subjektives Stressempfinden deutlich reduzieren.
Auch das Vermeiden einer strukturellen Über- oder Unterforderung des Mitarbeitenden mit seinen Aufgaben und der Abbau diffuser negativer Gefühle am Arbeitsplatz durch einen wertschätzenden, empathischen und authentischen Führungsstil führt zu besserer Resilienz und höherer Performance. Eine Work-Life Balance-Kultur sollte offen kommunziert werden, da positiv erlebte Freizeit bestärkend und beflügelnd wirken kann und die Regenerationsfähigkeit unterstützt.
(4) Problemlösungskompetenz:
Die Fähigkeit Sachverhalte gedanklich zu verstehen, zu analysieren und unter Einbezug von vorhandenem Wissen, Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, zu bewerten und erfolgreich umzusetzen, beschreibt die Problemlösungskompetenz. Das Wissen, wie man Probleme struktuiert angeht und eigenständig lösen kann, ist nicht jedem gegeben. Hier verzagen und hadern manche Menschen schon sehr früh, so dass Unterstützung und damit Kompetenzgewinnung initiiert durch klare Kommunikation der Führungskräfte zum Erfolg führen wird. Mindset-Themen, wie welche Arbeitsweisen effizient und erfolgreich sind, welche Art der Zusammenarbeit im Unternehmen vorherrscht, lassen sich auch super im Rahmen des Onboarding über E-Learning Tutorials abbilden und vermitteln.
(5) Soziale Kompetenz:
Nach Fröhlich-Gildhoff / Rönnau-Böse bezeichnet soziale Kompetenz die Fähigkeit, im Umgang mit Kolleginnen und Kollegen soziale Situationen einschätzen und adäquate Verhaltensweisen zeigen zu können. Dazu gehört sich empathisch in andere Menschen einfühlen sowie sich selbst behaupten und Konflikte angemessen lösen zu können. Auf andere Menschen aktiv und angemessen zugehen zu können, mit ihnen Kontakt aufzunehmen sowie zwischenmenschliche Kommunikation aufrechtzuerhalten und diese adäquat zu beenden sind ebenfalls wichtige Elemente sozialer Kompetenz.
„Eine am Empathic-Leader-Ansatz orientierte Arbeitswelt wirkt sich äusserst positiv auf das Miteinander und die Motivation aus."
Zur sozialen Kompetenz zählt ebenfalls die Fähigkeit, sich soziale Unterstützung zu holen, wenn dies nötig ist. Aus Arbeitgebersicht gilt es also zu hinterfragen, worin kann ich meine Mitarbeitende proaktiv unterstützen, was kann ich Ihnen an größeren Belastungen wegnehmen? Das Belastungsmanagement am Arbeitsplatz lässt sich durch Aufbau und Förderung individueller Kompetenzen des Mitarbeitenden als auch durch das Führungsverhalten der direkten Führungskraft positiv beeinflussen. Darüber hinaus ist es in Zeiten zunehmender Vermischung privater und beruflicher Belange (Work-Life-Blending) sinnvoll, weitere Angebote zu schaffen. Möglichkeiten wären:
Anbieten einer Sozialberatung (extern + digital) die zu vielfältigen Themen individuell berät und unterstützt wie bspw: Pflege Familienangehörige, KITA- & Schulplatz, Baby-, oder Hundesitter, Facharztvermittlung, Hilfestellung bei familiären Problemen, Unterstützung bei Rentenanträgen und im Langzeitkrank, Kindernotfallbetreuung,
Support Home-Schooling durch digitales Nachhilfeangebot
Anbieten von allgemein lebenserleichternden Angeboten und Specials im Intranet: Obst- und Gemüselieferdienste, Einkaufslieferdienste, Handwerkerservice, Hinweise auf besondere kulturelle Events, Restaurant-Tips, Freizeitmöglichkeiten im Intranet, um Verständnis von Work-Life Balance zu fördern
Für Mitarbeitende im Home-Office ist es besonders wichtig sich sozial zugehörig zu fühlen, ihrem Arbeitsalltag Struktur zu geben und sich nicht in der Arbeit zu verlieren. Hierzu wird es in Kürze einen gesonderen Blog-Artikel geben.
(6) Aktive Bewältigungskompetenzen Menschen empfinden herausfordernde, als »stressig« erlebte Situationen unterschiedlich. Es gilt neue Situationen angemessen einzuschätzen, zu bewerten und zu reflektieren, um dann die eigenen Fähigkeiten in wirkungsvoller Weise einzusetzen, um die Stresssituation zu bewältigen. Hierzu gehört auch eine grundsätzliche Lern- und Improvisationsbereitschaft sowie Entscheidungsstärke, um in ungewissenen neuen Situationen handlungsfähig zu bleiben. Eine mutige, aktive Verhaltenweise ist gewünscht, die zugleich von einem strukturierten und entscheidungsstarken Vorgehen geprägt ist. Von Mitarbeitenden, die in der Vergangenheit etwas überspitzt formuliert, sich sogar die Briefmarkenwahl vom Vorgesetzen freigeben lassen mussten, kann man diesen riesigen Mindset-Shift nicht auf Anhieb erwarten. Hier braucht es Geduld und gut geschulte Führungskräfte um die Transformation hin zu einer zeitgemäßen, die Eigenverantwortung und Selbstverwirklichung zugleich stärkenden Arbeitswelt erfolgreich gestalten zu können.
„Mit einer (Online-) Schulung über Resilienz der Belegschaft eine stärke seelische Robustheit antrainieren zu wollen, ist in keinster Weise zielführend, geschweige denn nachhaltig. Menschen sind soziale Wesen und wollen gesehen, verstanden, wertgeschätzt und sich gebraucht fühlen. Hier kommt moderne Führung einer besonderen Bedeutung zu, die jeden Mitarbeiter individuell sieht und betrachtet."
Eine Arbeits- und Führungskultur zu etablieren, bei der die seelischen Bedürfnisse der Mitarbeitenden im Alltag berücksichtigt werden, erhöht die Performance und Zufriedenheit am Arbeitsplatz. Wie sich dies im Punkto Arbeitsgestaltung umsetzen lässt, hängt von den räumlichen Rahmenbedingungen und Arbeitsabläufen ab.
Plätze zum ruhigen Arbeiten, Begegnungsstätten die lockeren Small-Talk ermöglichen, familienfreundliche Kernarbeitszeiten und remote-work sind in nahezu allen Unternehmen gut etabliert. Die Mitarbeitenden ermutigen, selbständig Lösungen zu erarbeiten, sich zu vertrauen - sie sind Experten in ihrer Arbeit- und sie dabei auf coachende Weise unterstützen, erhöht die Selbstwirksamkeit und damit die wahrgenommene Zufriedenheit am Arbeitsplatz. Hier gibt es eindeutig großen Nachhilfebedarf.
Quellen:
Eberle, Birgit (2019): Resilienz ist erlernbar, Independently published (16. Juli 2019)
Haller, Reinhard: Das Wunder der Wertschätzung. München: GRÄFE und UNZER-Verlag GmbH, 2021.
Noone, Peter A. (2017) The Holmes–Rahe Stress Inventory, Occupational Medicine, Volume 67, Issue 7, October 2017, Pages 581–582
Was ist Resilienz und wie kann sie gefördert werden? Klaus Fröhlich-Gildhoff & Maike Rönnau-Böse, 2018: aufrufbar unter https://www.br-online.de/jugend/izi/deutsch/publikation/televizion/31_2018_1/Froehlich-Gildhoff_Roennau-Boese-Resilienz.pdf am 29.03.2022, 17:21 Uhr
Ong, Tim (2018): Resilienz im Beruf für Fach- und Führungskräfte, 2018, Kindle Ausgabe
Rönnau-Böse, Maike & Fröhlich-Gildhoff, Klaus (2012). Das Konzept der Resilienz und Resilienzförderung. In Klaus Fröhlich-Gildhoff, Jutta Becker & Sibylle Fischer (Hrsg.), Gestärkt von Anfang an. Resilienzförderung in der Kita (S. 9-29). Weinheim: Beltz.
Strahler, Jana (2019): “Was die Psyche wachsen lässt“ für Spektrum Kompakt Ausgabe 1, 2019 mit dem Titel “Stress und Resilienz – Wie wir dem täglichen Druck begegnen“. Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg 2019
https://karrierebibel.de/selbstreflexion/ aufgerufen am 29.03.2022, 16:21 Uhr
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